Sonntag, 17. April 2016

Der innere Ort

Es ist eine altbekannte Technik in Psychologie und Therapie: Der sichere, der innere Ort. Einen Platz imaginieren, den man aufsuchen kann, wenn man von schwierigen Situationen und Gefühlen überwältigt wird. Oder einfach zum Wohlfühlen und Kraft tanken. Denn die Wirkung, die ein realer Aufenthalt in der Natur entfaltet, kann in der Phantasie quasi nachgebildet werden.

Ich habe diese Technik nicht bewusst gelernt oder angewendet. Mein Ort ist einfach zu mir gekommen. Vor dem Einschlafen - nachts oder beim Nachmittags-Nap - oder während des Meditierens begann er in meinem Inneren zu entstehen und sich immer weiter auszuformen. Ganz automatisch erschuf ich mir nach und nach eine Traumlandschaft, die mir Ruhe gab - und alles, was mir gerade fehlte.

Zuerst sah ich mich an einem einsamen Strand. In einer kleinen, stillen Bucht, in dessen Steilküste sich natürlich eine einfache Behausung fügt. Außen wie innen ist alles sehr schlicht und durchgehend in weiß gehalten. Hier sitze ich im Sand, während die Wellen meine nackten Füße umspielen. Gehe die Steintreppen zur Terrasse hinauf... sitze allein an einem Tisch, auf dem nichts als ein Glas Wein oder Wasser steht. Oder ich liege auf dem großen Bett, während der Wind durch die Terrassentür hineinweht und die Gardinen bauscht... Ich kann ausruhen, mich von der Fülle meines Lebens erholen, während ich aufs Meer hinaussschaue und in Weiß bade - alle Wände, Möbel und Kleidungsstücke tragen diese Farbe. Es geht hier wohl um das Element Wasser, Reinheit und Weichheit und um das Leerwerden...




Später begann ich auf der meerabgewandten Seite des Hauses eine Holzterrasse zu imaginieren, die auf einen Wald hinausgeht. In die Eichen, Buchen und Birken ist ein Geflecht von Baumhäusern gebettet, mit Hängebrücken verbunden. Ein großer, alter Baum ist so in die Terrasse gebaut, dass ich mich von dort aus an seinen Stamm lehnen kann. Ich blicke einfach in den lebendigen Wald und lade mich auf. Manchmal gehe ich in eins der Baumhäuser hinüber und lege mich auf eine Art Couch oder schreibe an einem kleinen Tisch. Diese Welt ist wunderbar grün, farbig und phantasievoll in ihrer Gestaltung, aber ebenfalls sehr natürlich und einfach. Es gibt keine überflüssigen Gegenstände oder Ablenkungen, große Fenster geben immer wieder den Blick auf den Wald frei. Es scheint hier um die Verbindung von Himmel und Erde zu gehen.

Vielleicht kreist meine nächste Welt ja um das Element Feuer ? Neulich kam plötzlich ein neues Bild zu mir: Es hat irgendwie das feuchtwarme Klima und Flair von Indien oder Südostasien. Ich lebe dort in einer nicht sehr tiefen Höhle, die mehr wie eine Art Schutzdach ist. Sie ist vollständig offen und gibt rechts den Blick auf einen wilde Garten- und Dschungellandschaft, links auf leuchtendgrüne Reisfelder frei. In ihrem Inneren brennt ein Feuer, an dem wir kochen - und beisammen sitzen. Die Szenerie ist ebenfalls zurückgezogen, aber ich scheine hier nicht ganz alleine zu sein...

All diese aus mir selbst heraus entstandenen inneren Orte sind mir eine Art Seelenheimat. Sie vermitteln mir tiefe Ruhe und Geborgenheit. Auch wenn nicht jede Einzelheit in meiner Vorstellung ausgeformt ist, kann ich diese Plätze deutlich vor mir sehen. Es ist, als wäre ich tatsächlich dort. Und ich kann sie nach meinen Bedürfnissen abwandeln und anpassen, mir vorstellen, was auch immer ich gerade brauche. In meiner Ozeanlandschaft schwimme ich manchmal mit Delphinen. Oder Menschen treffen mit dem Boot bei mir ein. Mitunter rufe ich auch mein Höheres Selbst - und es erscheint in Frauengestalt auf einem Felsen im Meer, um mir einen Rat zu erteilen.

Habt Ihr auch einen inneren Ort des Rückzugs ? Oder einen aus der Erinnerung, an den ihr manchmal in Gedanken zurückkehrt ? Es ist recht einfach, sich einen auszudenken ! Dabei könnt ihr ganz auf die spontane Vorstellungskraft vertrauen oder real existierende Orte und Bilder aus Filmen, Zeitschriften, dem Internet zur Hilfe nehmen und diese Landschaft dann ausschmücken und abwandeln... Denn jeder von uns hat Phantasie - und jeder von uns kann von einen Ort profitieren, der - weil tief in einem drin - immer verfügbar, immer da - und für einen da - ist. Der dich nährt, beflügelt, ausruhen und auftanken lässt. Denn er verbindet dich im Geiste mit der Kraft der Natur, mit der großen Mutter Erde. Wage, sie zu umarmen ! 



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